Meine Meinung...

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14.01.2008 von Ralf Kronig, BR-Mitglied bei SAP.

Sind Gewerkschafter "Diversity-tauglich"?

Als Bankkaufmann bei einer Raiffeisenbank auf dem Lande trat ich einer Gewerkschaft bei. Ohne Not, nur aus Interesse an sozialen Themen und aus der Überzeugung, dort viele meiner Werte vorgefunden zu haben. Im konservativen, beruflichen Umfeld löste ich mit meinem Beitritt zu einer Gewerkschaft Irritationen und Unbehagen bei meinen KollegInnen aus. Mein eher "grünes" Gedankengut wurde Anfang der 80er mit starken Misstrauen beobachtet und als "Spinnerei" abgewertet. Nach sieben Jahren Treue zu meinem Ausbildungsbetrieb und einem zweiten Bildungsweg erfüllte ich mir meinen Wunsch für ein stark selbstbestimmtes Hochschulstudium. Dort fand ich Diversity tagtäglich vor. Jeder war anders und das war gut so.

Nach verschiedenen Tätigkeiten begann ich im Jahre 1996 bei SAP AG in Walldorf zu arbeiten und 10 Jahre später begann für mich ein großes "Abenteuer". Die Gründung eines Betriebsrats beim damals einzigen betriebsratslosen DAX30-Unternehmen zusammen mit einigen, mutigen KollegInnen. Die Haltung stimmte bei uns, denn wir planten die Gründung nach Jahren der gründlichen Vorbereitung. Von Diversity wurde im Unternehmen zwar viel geredet, aber Eintreten für die Interessen von ArbeitnehmerInnen war verpönt. Man hatte besonders in diesem Punkt so zu sein und so zu denken, wie die ganz überwiegende Zahl der anderen. Von gelebter Vielfalt spürte ich im Unternehmen wenig.

Die Medien stürzten sich sofort auf diese "Sensation", denn bisher wurde jeder Versuch, einen Betriebsrat bei SAP zu gründen, erfolgreich vereitelt - ganze 34 Jahre lang. Jeder genoss bis dato seine kleinen täglichen Freiheiten, aber die große Freiheit, sich einen Betriebsrat zu wählen, wurde von ganz oben und damit auch der Mehrheit der Arbeitnehmer abgelehnt. Besonders verwerflich war, sich dafür auch noch den Rat und den Schutz einer Gewerkschaft zu nutze zu machen. Es wurde in der Folgezeit ein perfektes Feindbild von uns und der Gewerkschaft inszeniert. Schriftliche Missfallens-Bekundigungen, z.B. 'verschwindet hier', von KollegInnen aller Ebenen und Funktionen des Unternehmens sind nur ein Teil der Reaktionen, die wir erfahren mussten. Nichts spürte ich von dem Diversity-Gedanken gegenüber den KollegInnen, die mit Hilfe einer Arbeitnehmer-Organisation etwas in Deutschland ganz normales und gesetzlich Geschütztes wollten: einen Betriebsrat gründen. Die KollegInnen sahen darin einen Tabubruch gegenüber der Unternehmensführung.

Auch heute, nachdem wir vor 18 Monaten unsere persönliche und berufliche Existenz riskiert hatten, gibt es immer wieder Situationen, die uns nachdenklich machen: Wann werden wir von unseren KollegInnen bei SAP wieder gleichwertig behandelt und müssen nicht länger Ausgrenzungen befürchten? Nein, es wird von allen Seiten versucht, das einmal erzeugte Feindbild aufrecht zu erhalten. Einen Diversity-Award hat ein dafür verantwortliches Management nicht verdient.

Es liegt vieles im Argen, auch bei denen, die Diversity als "Marketinginstrument" im Unternehmen benutzen. Denken sie wirklich an die Benachteiligungen, Verletzungen und Ausgrenzungen im Alltag? Diversity steht auch für Solidarität, mehr Gerechtigkeit, Menschenrechte und Humanität im Arbeitsleben - für die sich besonders 'Gewerkschafter' einsetzen. Diversity ohne Akzeptanz des Andersdenkenden ist Gleichgültigkeit.

Heute haben es Gewerkschaften schwerer, Kolleginnen und Kollegen für ihre Werte zu begeistern, denn die Gesellschaft und mit ihr die Arbeitnehmerschaft mit ihren unterschiedlichen Lebensentwürfen ist vielfältiger geworden. Das ist kein Nachteil, sondern ein Vorteil, wenn Vielfalt zur Normalität geworden ist und Diversity gelebt wird. Dafür gilt es sich zu engagieren. Mit Gelassenheit und Durchhaltevermögen.

Ralf Kronig
IGM Gewerkschaftsmitglied
Betriebsratsmitglied SAP AG

Letzte Änderung: 14.11.2008