Software - Hardware - Gegenwehr 2

Streik bei Digital

11.06.2013 Reihe: Das hatte es bis dahin noch nicht gegeben: Gut bezahlte IT-Experten, die ihre Hightech- Büros verlassen und auf die Straße gehen, um zu streiken. 2/4: Ausgangssituation und Strategie

Die Ausgangssituation

Chaotisches Management

Der ständige Wandel sowie die damit verbundenen Folgen und Unsicherheiten stießen bei immer mehr Beschäftigten auf Widerstand. Zunächst machte er sich noch leise Luft. Die Belegschaft diskutierte verstärkt über die Entscheidungen des Managements und die Perspektiven des Unternehmens. Die Betriebsräte erkannten dies frühzeitig und legten den Schwerpunkt ihrer Arbeit zunehmend auf die Kommunikation mit der Belegschaft. Ab Mitte der 1980er Jahre befasste sich der Gesamtbetriebsrat intensiv mit der Frage nach den Konzepten, die den verschiedenen Umstrukturierungswellen, die das Unternehmen durchlief, zugrunde lagen. Seine Mitglieder ließen sich vom Wirtschaftsausschuss des Unternehmens unterrichten, von Wirtschaftsberatungsgesellschaften schulen und nahmen Kontakt zur IG Metall auf. Auf Betriebsversammlungen und über die Publikationen des Betriebsrats begann der Diskurs mit der Belegschaft. Auch die neuen Kommunikationsmittel - Internet und E-Mail - spielten eine große Rolle, um sich untereinander zu vernetzen und die Beschäftigten zu informieren.

Ingrid Mai, damals Support Specialist, IG Metall-Mitglied und aktive Streikteilnehmerin:

"Das Verhalten des Managements hat uns sehr enttäuscht. Bei Digital
herrschte bis Mitte der 1980er Jahre ein kollegialer Führungsstil mit flachen Hierarchien. Man duzte sich, betrachtete sich als Teil einer Familie. Dieses Vertrauen war plötzlich weg. Wir fühlten uns betrogen und gering geschätzt - aber keineswegs ohnmächtig. Das vor allem wollten wir mit dem Streik deutlich machen. Wir forderten einen Tarifvertrag in erster Linie, um unsere Arbeitsplätze abzusichern. Aber wie viel mehr an Schutzrechten und Gestaltungsmöglichkeiten wir mit ihm erreicht haben, ist mir so richtig erst bewusst geworden, als ich später Betriebsrätin wurde."

Während das Management sich weigerte, seine Pläne transparent zu machen und Entscheidungen zu begründen, stießen die Betriebsräte mit ihrer offenen und beständigen Kommunikation über Branchentrends, Unternehmenspläne und mögliche Perspektiven in der Belegschaft zunehmend auf Resonanz. Viele Beschäftigte fühlten sich angesprochen, mitzudenken und Forderungen mitzuentwickeln. Das schlug sich schließlich in einer wachsenden gewerkschaftlichen Organisation nieder. "Wir haben die Lösung jetzt": Diese von DEC in Abgrenzung zu IBM jahrelang gepflegte Marketing-Botschaft wurde nun zum Leitbild der Belegschaft, um das Management zu provozieren, das die Sorgen und Wünsche der Beschäftigten schlichtweg ignorierte.

Thomas Klebe, Jurist, damaliges Aufsichtsratsmitglied und Unternehmensbetreuer der IG Metall bei Digital:

"Die Digital-Kollegen kamen Mitte der 1980er Jahre auf uns zu, weil sie die IG Metall unter den Gewerkschaften als besonders kompetent und durchsetzungsfähig ansahen. Sie hatten erkannt, dass die Handlungsmöglichkeiten der Betriebsräte begrenzt waren. Auch standen die ersten Wahlen zu einem mitbestimmten Aufsichtsrat an. Sie wollten mehr Einfluss auf die Entscheidungen des Managements. Es ging ihnen darum, alle ihrer Rechte konsequent zu nutzen und sich dabei auf fundierte Analysen der wirtschaftlichen Situation zu stützen. Wir haben dann sehr systematisch zusammengearbeitet. Vieles war für uns neu: Die Kolleginnen und Kollegen verfügten über - damals noch - ungewöhnliche Formen, miteinander umzugehen: sich per E-Mail zu verständigen, Verantwortung auf viele zu verteilen, ein Informationsnetzwerk mit vielen Knotenpunkten zu schaffen, damit sich möglichst zahlreich Betriebsratsmitglieder und Beschäftigte beteiligen
konnten. Mit ›klassischer‹ Betriebsratsarbeit kamen wir nicht weiter. Wir waren gefordert, neue Konzepte zu erproben. Wir mussten uns öffnen, Freiräume für Kreativität und Selbstorganisation schaffen und diese nutzen. Das ist gelungen. Die IG Metall wurde bei Digital stärkste Kraft bei den Aufsichtsrats- und Betriebsratswahlen, erzielte einen enormen Mitgliederzuwachs und war erfolgreich im Streik um den Tarifvertrag."

Die Strategie

Tariffähig werden!

Vor allem im Zuge einer Neuordnung von Digital zu einer deutschen Holding mit drei selbständigen Unternehmen (Digital Kienzle GmbH & Co KG, Digital Equipment GmbH und Digital PCS) bestand die Gefahr, dass Arbeitsplätze massenhaft wegfallen und Mitbestimmungsrechte beschnitten werden könnten. IG Metall und Betriebsräte wollten daher auf Konzernebene und mit Hilfe eines Tarifvertrags erreichen, dass Beschäftigung gesichert und der Schutz vor den Folgen von Rationalisierung, Stellenabbau und Versetzung für alle Standorte verbessert wird. Der Mitte 1992 gegründeten Tarifkommission ging es aber auch darum: Die Beschäftigten sollten aktiv in die Unternehmensplanung einbezogen werden und Vorschläge machen können. Das Management wollte sie auf diesem Wege sogar dazu verpflichten,
beschäftigungsorientiert zu handeln und vorausschauend zu planen. Mehrfach forderten Gesamtbetriebsrat und IG Metall die Geschäftsleitung dazu auf, über das Forderungspaket zu verhandeln. Vergebens. Die fortwährende Ignoranz der Geschäftsführung quittierten die Beschäftigten mit der wachsenden Bereitschaft, für ihre Forderungen notfalls zu kämpfen.

Der Artikel stammt aus dem IT Magazin der IG Metall.

Die Reihe:
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  • 2/4: Ausgangssituation und Strategie
  • 3/4: Akteure und Taktik
  • 4/4: Ergebnis

Letzte Änderung: 17.06.2013