Wie weiter in Rüsselsheim?

Martin Sperber-Tertsunen

30.09.2013 Rüsselsheim - wie geht es weiter für die Kolleginnen und Kollegen? Ist Rüsselsheim überall? Martin Sperber-Tertsunen von der IG Metall vor Ort darüber, wie es aussieht und was zu tun ist.

Wie bewertest du das Ergebnis der Auseinandersetzung um den Standort Rüsselsheim?

Martin Sperber-Tertsunen: Durchwachsen. Wir haben keinen Interessensausgleich hinbekommen, sondern nur einen Sozialplan. Dieser Sozialplan ist zwar für einen Sozialplan ganz gut, aber wir haben verloren - der Standort wird geschlossen: Unser Ziel war möglichst viele Arbeitsplätze in Rüsselheim zu halten. Die Arbeitsplätze gehen jetzt aber zum 31. Oktober und 31. Januar 2014 weg.

Mit welchen Fragen kommen die Kolleginnen und Kollegen von HP nun auf dich zu? Für sie muss es ja weitergehen.

Martin Sperber-Tertsunen: Vor allem diskutieren wir die individuellen Möglichkeiten und Folgen. In der Zeit als die Kolleginnen und Kollegen die "Angebote" des Arbeitgebers erhalten hatten, haben wir auch vor Ort Beratungen angeboten, die sehr gut angenommen wurden, mit Fragen wie: Soll ich in die Transfer- und Qualifizierungsgesellschaft gehen? Soll ich einen Aufhebungsvertrag mit Abfindung unterschreiben? Wie sind die Chancen einer Kündigungsschutzklage? Und dann die schwierigeren Fälle, zum Beispiel wenn jemand in Elternzeit war. Die Arbeitszeugnisse überprüfen wir natürlich. Da gab es schon viel zu tun.

Wie ist die Situation auf dem regionalen Arbeitsmarkt?

Martin Sperber-Tertsunen: Die Chance einen neuen Arbeitsplatz zu bekommen ist gar nicht so schlecht. Es bleiben ja auch mehr als erwartet bei HP. Viele sind an andere Standorte gewechselt, oft nach Bad Homburg. Rund 400 Kolleginnen und Kollegen haben noch kein Übernahmeangebot von HP oder von einer anderen Firma wie Opel bekommen. Von denen wird der Großteil in die Transfer- und Qualifizierungsgesellschaft gehen.
Bei den 400 Personen wissen wir nicht, wie viele schon einen neuen Arbeitsplatz haben und wie viele nicht. In der Region gibt es recht viele IT-Arbeitsplätze. Viele Beschäftigte in Rüsselsheim sind aber bereits vierzig Jahre und älter, was in der IT-Branche schon recht alt ist. Die haben es dann schwerer auf dem IT-Arbeitsmarkt. Arbeitsplätze wird es wohl geben - aber mit deutlichen Abstrichen, da HP durchaus recht gut gezahlt hat. Das Gehalt wird sich sicher bei vielen nicht wieder realisieren lassen.
Auch sind über 300 Arbeitsplätze innerhalb von HP an den Standort Bad Homburg versetzt worden, der nur rund 40 km entfernt ist. Das zeigt, die Arbeit ist da und muss gemacht werden. Außerdem hat HP Schwierigkeiten in Bulgarien die Qualifikationen zu finden, um die Arbeit zu verlagern. Man braucht also die Leute weiterhin. An dieser Zahl zeigt sich auch wieder, dass die Einsparpotentiale nicht so groß sind, wie geplant und es sich um eine rein politische Entscheidung von HP in Deutschland handelt, den Standort zu schließen.

Was muss passieren, damit das Beispiel bei HP keine Schule macht?

Martin Sperber-Tertsunen: Das Wichtige ist, dass sich die Belegschaft stärker entgegen stellt. Man kann im Nachhinein nur orakeln, ob mehr möglich gewesen wäre. Bei HP wurde aber ein Budgetplan exekutiert. Das war eine politische Entscheidung, die unabhängig von den Folgen - auch hinsichtlich HPs Leistungs- und Lieferfähigkeit - umgesetzt werden sollte. Der Imageverlust hat da genau so wenig interessiert, wie die Schwierigkeit die entsprechenden Qualifikationen in Bulgarien aufzubauen.
Generell ist es so, dass sich in Betrieben, wo es eine stärkere gewerkschaftliche Kultur gibt, auch mehr verhindern oder verbessern lässt. Die ist bei HP in letzter Zeit gewachsen, aber in der Branche wie bei HP insgesamt noch nicht stark genug. Und man braucht auf Arbeitgeberseite ein Gegenüber, der für gute Argumente offen ist. Insbesondere letzteres fehlte hier.
Unsere einzige Option, weitere Betriebsschließungen nach dem Beispiel HPs in Rüsselsheim zu verhindern, ist eine stärkere gewerkschaftliche Vertretung aufzubauen.

Letzte Änderung: 24.02.2014