Software - Hardware - Gegenwehr

Streik bei Digital

10.06.2013 Reihe: Das hatte es bis dahin noch nicht gegeben: Gut bezahlte IT-Experten, die ihre Hightech- Büros verlassen und auf die Straße gehen, um zu streiken. 1/4: Einführung und Hintergrund

Sie waren mit den Entscheidungen des Managements unzufrieden und fürchteten um ihre Jobs. Bei Digital forderten sie 1993 einen Tarifvertrag, um Beschäftigung zu sichern und das Management zu rationalerem Handeln zu verpflichten. Die neue Qualität, mit der dieser Streik geführt wurde, rückte den Arbeitskampf in die Öffentlichkeit und verschaffte ihm hohes Ansehen in der Branche und weit darüber hinaus. Bis heute wirkt der damals erkämpfte inhaltlich beachtliche und innovative Tarifvertrag noch nach.

Der "Fall Digital" (Frankfurter Allgemeine Zeitung) war in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlich: In einem reinen Angestelltenunternehmen kam es zu einem erfolgreichen Streik, obwohl die Gewerkschaft in der Belegschaft noch nicht stark verankert war. Auch die damalige Rezession ließ andere Lösungen erwarten. Mit ihrem 14-tägigen Arbeitskampf erreichten die Streikenden zusammen mit der IG Metall einen Tarifvertrag, der sich sehen lassen konnte:

  • Einstieg in die 35-Stunden-Woche
  • gesichertes Einkommen bei Umstrukturierungen
  • Mitbestimmung bei einer Unternehmensteilung
  • Vorruhestandsregelung und Verdienstabsicherung für ältere beziehungsweise langjährig Beschäftigte
  • verlängerter Erziehungsurlaub
  • unbezahlte Freistellung zwecks Studium
  • Teilzeitquote und verbesserte Rückkehrmöglichkeiten in Vollzeit u.v.m.

Der Arbeitskampf war eine wichtige Etappe auf dem Weg, die Arbeitsbedingungen in der ITK-Industrie zu verbessern. Er wirkt in Teilen noch heute fort und signalisierte einen Umbruch im Bewusstsein von IT-Beschäftigten. Er war ein Meilenstein in der Branche, um Arbeitsplätze und Einkommen zu sichern, ältere Beschäftigte besonders zu schützen und effiziente Mitspracheformen im Betrieb zu verankern.

Der Hintergrund
Ende des Booms

Der Beginn der 1990er Jahre markiert weltweit einen tiefen Einschnitt in der IT-Industrie, der sich auch in Deutschland bemerkbar machte. Die Computerbranche hatte sich über drei Jahrzehnte an satte Wachstumsraten im zweistelligen Bereich gewöhnt. IBM war der unangefochtene Marktführer, in dessen Windschatten die Digital Equipment Corporation (DEC) und andere EDV-Firmen gut mitsegelten. Im Unterschied zu IBM fertigte DEC keine Großrechner, sondern mittlere Datentechnik, ein effizientes Betriebssystem für Rechner für einen bis zehn Benutzer sowie interaktives Computing und Netzwerktechnologie. Mit seiner Fähigkeit, rasch und flexibel die neuen DV-Technologien - etwa CAD- und Bürokommunikationssysteme - an die Bedürfnisse seiner Kunden anzupassen, konnte sich Digital erfolgreich am Markt behaupten.

Anfang der 1990er Jahre kam der Einbruch: Immer leistungsfähigere Halbleiter kamen auf den Markt, mit denen die Rechnerleistung extrem gesteigert werden konnte. Die Computer wurden immer kleiner. Digital verpasste den Einstieg ins PC-Geschäft. Seine Geräte fanden immer weniger Absatz, die Preise verfielen. In der gesamten Branche verringerte sich das Wachstum - oder genauer: Es "normalisierte" sich im Vergleich zu anderen Industriezweigen.

Digital begann damit, das Unternehmen umzustrukturieren, um sein Geschäfts- und Steuerungsmodell an die veränderte Lage anzupassen. Das Resultat: eine schlanke Unternehmensorganisation, kleinzellige Profitcenter, ein radikales Sparprogramm und die Konzentration auf "Kernkompetenzen". Bei der DEC GmbH beispielsweise standen von nun an Vertrieb und Wartung des gesamten Spektrums der Informationstechnologie sowie die Softwareproduktion im Mittelpunkt. Die Hardwareproduktion wurde zu anderen Standorten verlagert.

Christian Brunkhorst, damaliger Betriebsrat und Streikleiter am DEC-Standort Berlin und von 1994 bis 2003 GBRVorsitzender von DEC und Compaq:

"Es gab ständig Umstrukturierungen. Digital kaufte die IT-Sparten von Philips und Kienzle hinzu, um sich neue Kunden und Aufträge zu sichern. Mit einer modernen Unternehmensorganisation wollte der Konzern größtmögliche Flexibilität erreichen, um das steigende Massengeschäft und die wenigen exklusiven Großkunden zu betreuen. Das aber ging voll zulasten der Beschäftigten: Stellen wurden verlagert, Aufgabenbereiche durchrationalisiert und soziale Besitzstände sollten abgebaut werden. Alle mussten sich ständig auf neue Gegebenheiten einstellen. Selbst das Management blickte oft nicht mehr richtig durch. Wir Betriebsräte kamen dabei an unsere Grenzen. Daher forderten wir einen Tarifvertrag, der im gesamten Unternehmen das Chaos mit den Umstrukturierungen bändigt und regelt. Damit wollten wir die negativen Folgen der Rationalisierungen für die Beschäftigten möglichst gering halten."

Der Artikel entstammt dem IT Magazin der IG Metall.

Letzte Änderung: 17.06.2013